Meine Buchrezension für das AndersLeben-Magazin (Ausgabe 01/22, veröffentlicht im März 2022 von SCM)
Annette Kehnel ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte und führt mit ihrem Buch „Wir konnten auch anders“ auf eine inspirierende Bildungsreise durch die Jahrhunderte der Wirtschaftsgeschichte. Sie zeigt, dass wir die notwendige, nachhaltige Veränderung für unser Leben heute nicht durch die Umsetzung der 200 Jahre alten Ziele der Moderne –Fortschritt, Wachstum und Wohlstand – erreichen werden.
Das Beispiel des sächsischen Silberbergbaus im frühen 18. Jahrhundert belegt, dass weder Markt noch Luxusansprüche der Eliten der ökonomische Maßstab sein müssen, sondern die „Tragfähigkeit der Ökosysteme“ selbst. Damals wurde massenweise Holz zum Anfeuern gerodet. Der Leiter des sächsischen Oberbergamtes, Hans Carl von Carlowitz, forderte daher in seinem ersten Konzept des „ökonomischen Waldbaus“, dass der Wald einerseits behutsam aufgeforstet werden müsse, anderseits auch Zeit zum Nachwachsen brauche. Nur so könne ein langfristiger Nutzen für alle erzielt werden. Dieser Gedanke mündete in der ersten Forstreform: Der Wald selbst wurde Tempomat für die Wirtschaft.
Als Beispiel für frühe „Tierwohlinitiativen“ nennt Annette Kehnel die Bodenseefischer. Sie verwalteten zwischen 1350 und 1900 die Fischgründe länderübergreifend als gemeinschaftliche „Allmende“. Ihre Motive waren weder Gewinn durch Ausbeutung noch Umweltschutz per se, sondern das Bewusstsein, dass nur der gemeinsame Erhalt die nachfolgenden Generationen versorgen würde. Kooperationen in Form von Fischerzünften regelten penibel Schonzeiten, Material und Artenschutz.
Wir konnten also auch schon einmal anders wirtschaften – und Alternativen finden. Der Pfarrer und Naturwissenschaftler Jacob Christian Schäffer suchte einen Ausweg aus dem damals herrschenden Lumpenmangel und experimentierte mit Pappelsamen und Graswolle, um alternatives Papier herzustellen. Die Skepsis mancher konnte ihn nicht einschüchtern. Er fand Unterstützer und inspirierte weitere Forscher, die schließlich erfolgreich ihre Strategien umsetzen und vermarkten konnten. Menschen wie er zeigen, dass es den Mut von Vorreitern braucht, die ein Scheitern zugunsten von späteren Erfindungen in Kauf nehmen.
Zahlreiche weitere historische Beispiele für Nachhaltigkeit in den letzten beiden Millennia listet Annette Kehnel auf, etwa Sharing-Systeme der Klöster („Teilen macht reich“) und Beginenhöfe (Frauen-WGs in den Niederlanden), aber auch Recycling, Crowdfunding, Urban Gardening und Mikrokredite gab es damals schon. Diese breitgefächerten Zeitreisen sind unterhaltsam zu lesen und wecken Gedanken, wie sich die damals funktionierenden Ansätze ins Heute übertragen lassen.